VERZAHNUNG (2014)
Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart
Vor der SS-Kommandantur wird ein Hund Gassi geführt; die ehemaligen Villen der SS-Lagerführung sind renoviert und werden bewohnt. Diese beiden Eindrücke meiner ersten Besichtigung des KZ-Flossenbürgs vor einigen Jahren kamen mir immer wieder in den Sinn und waren der Antrieb photographisch der Frage nachzugehen, wie Relikte der Nazi-Gräuel in die Gegenwart hineinreichen, wie mit ihnen umgegangen wird und welche Wirkung sie heute haben.
Flossenbürg in der Oberpfalz, erstmals 948 urkundlich erwähnt, mit heute 1.600 Einwohnern, zeigt diese Verzahnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart besonders deutlich, da 1938 das Lager in unmittelbarer Nähe zum Ort und zum Granitsteinbruch errichtet wurde. Die Häftlinge mussten unter unmenschlichen Bedingungen den Granit für die Bauvorhaben der Nationalsozialisten abbauen. Nach dem Morgenappell zogen die Häftlinge in Sichtweite des Ortes in den Steinbruch oder die Rüstungsbetriebe. Von 100.000 Häftlingen wurden 30.000 zu Tode geschunden.
Nach dem Krieg wurde das Gelände pragmatisch weiter genutzt, z.B. als Unterkunft für Kriegsgefangene, Heimatlose und Vertriebene. Es fand aber auch eine gezielte Aneignung statt, um die Erinnerung an die Verbrechen zu tilgen. 1950 errichtete die Gemeinde Eigenheime auf den Fundamenten der Häftlingsbaracken. Bis 1998 wurden die wenigen baulichen Überreste des Lagers und des Granitsteinbruchs bewusst dem Verfall überlassen.
Heute umschließt der Ort das ehemalige Lager und jetzige Gedenkstätte. Der Weg zum Steinbruch führt durch den Ort, vorbei an einem Kiosk, dem ehemaligen Torgebäude des Steinbruches.
Wolfgang Zurborn, Lichtblick School, Theatre of Real Life Vol. 6:
Die Verzahnung von Geschichte und Gegenwart zeigt Eckart Bartnik mit seinen Fotografien aus Flossenbürg in der Oberpfalz. Die Schrecken der Nazivergangenheit dieses Ortes mit seinem KZ in zentraler Lage sind zwar nicht direkt sichtbar zu machen, aber äußerst präzise Betrachtungen der Alltagswirklichkeit schaffen eine Sensibilität für die noch vorhandenen Spuren dieses unmenschlichen Systems. Wir sehen keine sachlich neutralen Abbildungen dörflicher Szenerien, sondern Einschnitte in Raum und Zeit, die mit einem präzisen Bewusstsein für den geschichtlichen Kontext gesellschaftliche Strukturen entschlüsseln. Ohne jegliche plakative Symbolik werden in extrem verdichteten Kompositionen unspektakuläre Orte zu bedeutungsvollen Szenerien, da alles Dargestellte in ein eigenartiges Spannungsverhältnis zueinander gesetzt wird. Ein Misstrauen gegenüber der dörflichen Idylle schleicht sich unvermeidlich ein.